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Weiter, immer weiter … (Böse ist besser.)

Rad dreht sich. Aufpassen soll man, dass man nicht drunter kommt. Mühlen der Bildung und des Soziallebens. Uni, Menschen, Straße, Mensa, Uni, Schreibtisch. Fressen, Hungern, Fressen. Last but not least: weiter fressen. Ein bisschen öde, nicht? Wüsste auch nicht, dass Ruin und halbherzige Absättigung jemals unterhaltsam gewesen wäre…

Ich frage mich, wie normale Menschen aus diesem ganzen Kram etwas Genussvolles machen. Wie kann Essen genussvoll sein, wenn man es jeden Tag hat? Das ist unlogisch. Zwangsläufig müssen mehrere Mahlzeiten des Tages zu öden Riten verkommen und andere dafür wiederum aufgewertet werden. Diese werden dann zelebriert, die Frage ist nur, was an ein paar chemischen Reaktionen so spannend ist, dass man seinen Tagesablauf danach ausrichtet und es gleich kategorisch verpönt werden muss, wenn man das Essen verweigert und missbilligt. Ich wette, es gibt mehr Koch- als Fickbücher (was ja auch nicht verwunderlich ist, denn Essen ist für Menschen eine aktuellere Lebensnotwendigkeit als sexuelle Befriedigung). Da bekommt Food Porn einen lustigen neuen Klang, nicht? (Btw: Ich gehe davon aus, dass alle wissen, was Food Porn ist … Falls nicht: Fressgelüste hervorrufende Fotos von Leckereien angaffen).

Wo war ich?

Ach ja. Leute essen Essen und finden es toll. Sie geben ihm individuelle Namen und importieren neue Zubereitungstechniken, um sich dann für 10 Minuten vollen Mundes gut zu fühlen. Ich habe das einmal beobachtet. Während ich 2 Stunden mit einem Muffin und einem Kaffee ohne Milch zufrieden da sitzen und eine Zeitung lesen kann (also schon mal 2 Stunden in einen Café verbringe, statt nach finanziell unrechtfertigbaren 10 min schon durch zu sein und den Ort der Dienstleistung, Wärme und sitzbeinfreundlichen Möbel vollkommen sinnloser Weise viel zu früh wieder zu verlassen), beendet der Standard-User seine Mahlzeit und seinen Kaffee innerhalb von weniger als einer halben Stunde. Dann geht er und vermisst rein gar nichts.

Das ist es, echt, das?!

Nee, nee, Leute. Das ist es nicht.
Ich sage euch mal was es ist.

Das ist es:

Ankommen im Café. Zigarette rauchen. Die Kellnerin wegschicken, weil man sich noch  nichts überlegt hat (alles zu fett), Essen streichen, Kaffeekarte angucken, Kaffee bestellen wollen, dann doch nicht, da man sich noch nicht komplett gegen das Essen entschieden hat und Kaffee und Essen unbedingt zusammen eingenommen werden müssen, weil sonst der Kaffee vor dem Essen kalt wäre und das wäre Frevel. Essen anschauen. Die Kellnerin kommen sehen, in Panik geraten und entweder das bestschmeckendste kleinste Essen oder das kalorienärmste bestellen (was aber meistens nicht schmeckt). Dazu Kaffee natürlich. In der Wartezeit noch eine rauchen. Eine Zeitung holen. Der Muffin ohne Schokolade kommt (ich würde nie einen Muffin irgendwo bestellen, Muffins sind Take-away-food, also stellt euch irgendein kleines Stück Essen vor, was schmeckt und nicht allzu fett ist, es wird ja ohnehin die einzige Mahlzeit des Tages sein, also was soll’s). Das Essen wird nach striktem Schema gegessen (beim Muffin erst die Unterseite essen, dann das Innere, dann die verbliebene Kruste). Ein zweiter Kaffee wird geordert. Das Ganze wird regelmäßig unterbrochen durch Blicke aufs Handy, in die Zeitung oder den Laptop mit der neuesten wissenschaftlichen Scheiße, die man sich als psychisch alterierter Uni-Sklave so reinziehen darf, wenn man schon die Zeit (?) zum Kaffeetrinken hat. Die soziale = unangenehme Interaktion des Zahlens wird noch ein bisschen heraus gezögert, während man sich in seiner natürlich stillen Ecke auf das Streiflicht (einen von mir goutierten Teil der SZ) konzentriert.

Ich behaupte, diese eine Mahlzeit (als Insel der Zeit zwischen Hektik, Alltag und chronischer Ermüdung durch Hunger) schmeckt mir besser, als dem Sakko-Bonzen in der überteuerten Lounge sein dekadentes Frühstück je schmecken wird.

Nicht dass ich idiotisches Essverhalten gutheiße (nein, gar nicht), nun ja… Ich finde einfach, dass dieser ganze Pampf überbewertet wird. Es sind nur lächerliche Nahrungsmittel und wenn man sie zelebrieren will, soll man das doch tun. Aber zu behaupten, dass gutes Essen so und nur so abläuft, ist arrogant. Vmtl. gibt es eine ganze Menge Essgestörte, die das Essen als reine Qual empfinden, aber d.h. nicht, dass sie den Geschmackssinn verloren haben. Ich meinerseits habe den Sinn für die Freude daran verloren. Es ist einfach eine kindliche Freude. Es ist die gleiche Freude wie über die frisch gekackte Wurst. Toll. Ich bin nicht mehr drei. Ein Brot bedeutet was, wenn ich es will und das ist nach 3 Tagen ohne Brot – und nicht nach „Morgens Sandwich, mittags Brötchen, abends Brot – Brot Brot Brot“ gähn…

Diese Essenspropaganda ist geradezu diskriminierend! Sie verlangen, dass es uns schmeckt – und zwar FÜNF MAL AM TAG!! Fünf! This is insane! Nicht wir sind krank. Ihr seid krank. Was sollen wir nun tun – täglich brav essen, regelmäßige Nahrungszufuhr. Wie gesagt. Eine niedere Funktion, ganz wie oben beschrieben. Soll es das nicht sein, wäre es ja etwas Besseres, nämlich eine Art Genuss. Genuss und Regelmäßigkeit widersprechen sich, wobei wir oben wieder angekommen wären. Hahaha.

Ich fordere: Schluss mit antianorektischer Fresspropaganda!
Wir wollen suppenkaspern, wann wir wollen, wo wir wollen und solange wir wollen 😉

Okay… genug Satire für heute. Ich bin verdammt müde.
Übrigens liegt das nicht an meinem Essverhalten (oh yeah … und jetzt her mit den Kommentaren von den radikalen Gesundheitsaposteln, die den Witz nicht verstanden haben, los, macht euch zum Ei, ich will auch mal lachen, wo ich doch sonst 24-7 dank ES nur leide und leide und *g*. Und ja… ich habe in Erwägung gezogen, diese Schmähschrift mit LMAA zu taggen, ich gebe es zu…

Eure Me.

Gesundheit ist wichtig, aber wichtig ist nicht gleich Gewicht

Leerer Magen. Spät ist es. Bin müde und der Hunger tut ein bisschen weh. Aber es fühlt sich heute so… schön lebendig an. Hatte ich lange nicht. Habe ich irgendwie vermisst. Ich weiß, böser Frevel. Man darf sozial geächtete Gefühle nicht haben. Hunger ist das Gefühl afrikanischer Waisen, wie kann man es wollen?

Ich frage mich eher: Wie kann man persönliche Empfindungen beurteilen wollen? Ratschläge. Kommt von Schläge. Siehe Prof. Spitzer aus Ulm. Meine Art zu empfinden kann mir niemand nehmen. Will nicht gerade gebogen werden. Genauso, wie ich andere nicht krumm biegen will. Das heißt auch Freiheit. Die Gedanken, kennen wir doch alle, das Lied. Aber da wir alle auch so frei sind, redefrei, gehören die Gedanken nicht per definitionem in den Keller. Sich einsperren, wenn man so schon einen goldenen Käfig hat, warum? Werde ihn nicht dort hinunter tragen. Eher noch ein bisschen darin herumfliegen. Was keine perverse Freude ist. Vielleicht muss ich das besser erklären…

Es geht mir nie – und ich meine nie – um irgendeine Art der Glorifizierung. Ich sehe das alles meistens eher nüchtern. Gutes Gefühl hier, ungutes Gefühl da. Ich beschreibe. Und dabei möchte ich einmal darauf hingewiesen haben, dass nicht jedes Missgefühl gleich auf die Essstörung bezogen werden kann. Sie ist da, sie ist sicher kein grundlegendes Quell des Optimismus, aber sie ist nun auch nicht gleich an allem schuld. Machen schon genügend Therapeuten falsch. Einmal die Essstörung entdeckt, *raff raff raff* wird sich draufgestürzt, wie die Geier aufs Aas. Und fortan redeten sie vorbei an den übrigen Problemen und diese waren nicht mehr gesehn….Falscher Film!

Hier geht es um Alltag, Lebensgeschichte und -geschichten, Gedanken, Gefühle. Es geht nicht primär um Wertungen. Was mir vor allem nicht behagt, sind Wörter wie „richtig“ oder „falsch“. Das ist genau nicht besser als „verbotene und erlaubte Lebensmittel“. Salat ist gut, richtig – Schokolade böse, falsch. Hier! Guckt alle her, ich esse Schokolade. Bin geheilt, hurra! Doch nicht? Ooooh. Wo Schokolade doch gut ist, wieso kann ich das nicht sehen. Jetzt habe ich mir etwas Böses getan, obwohl es so gut hätte sein können. Allein, mir fehlt der Glaube. Wer nicht will, der kann auch nicht. Irgendwann ist der Übergang so fließend. Alles könnte freier Wille sein oder nur noch total krank. Von außen ist das nicht erkennbar. Wenn man sich still hinsetzt und nachdenkt, findet man es vielleicht heraus. Allein. Aber das macht die Symbiose mit der Essstörung nicht besser oder schlechter. Sie ist, was sie ist. Sehr seltsam. Ein bisschen positiv, ein bisschen schlimm, ganz genau kann man es nie sagen. Vielleicht ist sie beides. Ambivalent.

So gehe ich also weiter den Weg des Frevels hier und erdreiste mich, ihn zu protokollieren. Tagein, tagaus. Diejenigen, die ehrliche Gedanken lesen wollen, werden sie hier immer finden. Das ist auch der Grund, warum ich keine Kommentare lösche. Ich mag das nicht. Ehrlichkeit, vielleicht mir selbst gegenüber. Auch wenn ich mich manchmal frage, was soll mir das sagen?

Was ich oben geschrieben habe, ist zynisch, ich weiß. Ich neige dazu, so zu denken, so zu schreiben. Ein Resultat aus letzter Selbstachtung und Achtlosigkeit. Zu oft sich selbst gegenüber ausprobiert. Oder einfach nur plötzliche Einfälle, wer weiß. Der Grund ist auch gar nicht wichtig. Assoziationen sind, finde ich, etwas Wunderbares.
Was ich sagen möchte ist, dass es mir nicht unwichtig ist, was Andere denken. Mich interessiert das. Leider fehlt mir die Zeit, auf alles einzugehen, was ich zu lesen bekomme. Deswegen habe ich mich entschlossen, ein bisschen zusammengefasst mit diesem Artikel zu antworten. Ich versuche es.

Warum eine Essstörung für einen Betroffenen mitunter nicht das letzte Übel ist.

Punkt 1. Das letzte Übel ist die Hoffnung. – sie gehört zurückgesperrt in die Büchse der Pandora! Die Hoffnung macht das Leben schwer. In meinem Leben (dies hier ist ja (m)ein persönliches Blog) steht die Hoffnung auf der Skala des Bösen ganz weit über der Essstörung. Und 2. … wie soll ich anfangen? Je größer der Krankheitsgewinn, desto kleiner der Leidensdruck.

pLeid ~ 1/Xkrank

Solange mir die Essstörung etwas geben kann, was andere Dinge nicht zu ersetzen vermögen – und das tut sie – werde ich mir nicht freiwillig die Mühe machen, sie für etwas, das mir weniger als nichts gibt, zu überwinden. Weniger als nichts bedeutet Werte im negativen Bereich. Schaden.

Wenn man zunimmt, erfordert das viel Kraft. Man muss es aushalten, sich zu verändern. Man muss das ertragen können. Es kostet viel mehr Kraft, als zu Hungern oder Untergewicht zu halten. Man will gar nicht daran denken. Wenn man dann darüber nachdenkt, muss man sich eingestehen: es lohnt sich gar nicht. Was wird man haben, wenn man zugenommen hat? Was ist dann besser? Ist die kaputte Familie wieder heile? Sind die Bilder aus der Vergangenheit weg? Ist irgendetwas toller? Nein. Eigentlich nicht. Aber man wiegt 5 kg mehr. Na wunderbar. Davon kann man sich nun ein Eis kaufen.
Aber wenn man ehrlicherweise so argumentiert, was wird kommen? Man könne es nur nicht sehen, man müsse es erst mal versuchen, man würde das schon schaffen. Genauso wie mir RTL sagen will, dass ich Sitcoms gucken soll, versuchen mir Außenstehende klar zu machen, dass ich zunehmen müsse. Fernsehen ist lustig und Normalgewicht gut. Gut, richtig, muss so. Muss das so?

Was, wenn ich einfach anders gelernt habe zu leben. Wenn mein Leben gar nicht so viel schlimmer ist als das der Menschen, die sich selbst normal nennen? Wie können sie das überhaupt wissen. Wer trägt kein Päckchen mit sich, keine Sorge oder irgendeinen Tick. Irgendwas Pathologisches findet man doch immer, wenn man lange genug hinschaut. Nein, vielleicht ist alles in Ordnung so, wie es ist. Für mich in Ordnung.

Die WHO definiert Krankheit nicht nur als die Abwesenheit körperlicher Gebrechen, wie es so schön heißt. Es geht auch um das Empfinden des „Kranken“, meine ich. Das einzige, was mich nach dieser Sichtweise noch vom Gesundsein trennt, ist mein eigener Ehrgeiz und meine Unzufriedenheit. Aber wenn das die einzigen Symptome meiner Krankheit sind, dann bin ich nicht allein gestört.

In diesem Sinne,

gute Nacht… viele Grüße,

eure Me.

Ich bin es leid.

„Normalgewicht – so einfach, schön und wundertoll!“

An die Propagandisten solcher Einstellungen…

Dieses Blog ist nun wirklich nicht pro Ana*. Dieses Blog gibt zu, subjektiv zu sein – nein, es macht sich zur Aufgabe, höchst subjektive Empfindungen darzustellen. By the way, das haben Empfindungen so an sich. Ich betreibe hier keine Wissenschaft, ich recherchiere nur in meiner Seele und meinen Erinnerungen. Ich rufe niemanden zum Hungern, Fressen oder Fasten auf. Aber ich weise darauf hin, dass es von allem mehr als eine Seite gibt und dass es das gute Recht der Kranken/“Betroffenen“ ist, eine Lobby zu bilden. Die Alkoholiker meinen, sie könnten kontrolliert trinken, die Depressiven und Schizophrenen versuchen eine Ebene zu finden, auf der sie existieren können. Nur die Magersüchtigen sind die Antichristen, weil sie nicht das non plus ultra Vollremision anstreben?

Aha. Ist ja interessant. Welche Abteilung will die Vollremission? Die Innere Medizin? Die Onkologie? Nein?! Ach, die gemeine Psychiatrie ist es, oh! Welch interessantes Ziel, höchst lobenswert. Und in einigen Fällen v.a. eines: höchst dummdreist. Mit Verlaub, was ein Mensch mit seiner Seele anstellt, ist seine Privatangelegenheit. Und jede Argumentation mit der Totschlagthese zu erwürgen, die Sicht sei gestört, der Mensch verblendet, ist nicht nur primitiv, sondern auch ziemlich oberflächlich.

An dem Punkt, an dem Bewusstsein einsetzt, und das tut es auch bei dem noch so verblendeten Anorektiker für einen gegebenen Wert von Zeit irgendwann, findet hier eine Diskussion statt. Und diesbez. spreche ich vor allem, wenn nicht ausschließlich, von chronisch Kranken. Ich rede nicht von Teenies, die durch eine Diät in den Abgrund der Magersucht abdriften und ihr Leben damit zerstören, unbewusst, unkontrolliert, fatal. Sondern ich rede von Leuten, die Jahre mit ihrer Krankheit verbracht haben, für die es mehr ist als eine Kompensation oder ein Liebesersatz oder ein Aufmerksamkeitsdefizit. Für die es ein Inhalt geworden ist, der emotionale und philosophische Bedeutung hat. Das sind Leute, denen mit der 20. Magensonde auch keiner mehr hilft. Und ehe die Medizin das nicht begriffen hat, wird ihr das Wesen der Magersucht auf diesem Gebiet eben verschlossen bleiben.

Wenn die Magersucht nur eine einfache psychische Krankheit wäre, könnte man sie mit Sicherheit besser behandeln.**

*im Sinne der Anschauung in den Medien, bitte andere Artikel beachten!
**Dies ist natürlich relativ zu sehen – worauf ich anspiele ist die hohe
Todesrate, die sie unter psyhischen Krankheiten zweifelsfrei in eine
Sonderstellung bringt – das muss wohl einen Grund haben…
und dieser Grund ist der massive Krankheitsgewinn.

Äußere Einflüsse

Vor ein paar Tagen bin ich über eine Studie gestolpert, in der es um Einflussgrößen auf das menschliche Abnehmverhalten ging. Es ging genauer gesagt darum, dass das Abnehmen leichter fiele, sobald man eine Kontrolle von außen habe (die Waage) und die Effektivität einer Diät im Endeffekt von der „Beeinflussbarkeit durch äußere Faktoren“ abhängig sei.

Was will das sagen?

Also. Wenn jemand leicht zu beeinflussen ist, müsste er nach dieser Theorie ebenso leicht abnehmen wie zunehmen, man stelle sich z.B. vor, dass die beste Freundin etwas über die mollige Figur sagt und man anfängt zu hungern, oder aber man im Fernsehen Spaghetti sieht und eine Fressattacke erleidet. So in etwa stelle ich mir das jedenfalls vor. Wohingegen die „gefestigten Persönlichkeiten“, die sich weder von Waage, noch von Menschen oder dem Anblick leckeren Essens aus der Ruhe bringen lassen – und die es meiner Meinung nach nicht gibt – nur einen Grund brauchen, der gut genug ist, um dann von alleine durchzuhalten.

Kann das sein?

Egal. Ich dachte dabei unweigerlich an mein Hungerverhalten, anorektischen Alltag und die mehr oder weniger vorhandene Konsequenz in diesem Handeln. Esse ich den verfluchten Magerjoghurt oder lasse ich es sein?

Wenn ich auf die Waage steige, geht es mir danach meistens nicht besser. Gar nicht besser. Habe ich zugenommen, ist der Tag gelaufen. Ist es gleich geblieben, bin ich mir sicher, morgen dafür zuzunehmen. Und wenn es weniger ist, habe ich den ganzen Tag über Panik, dass ich mich zu sehr „vollfresse“. Ich bin also der Klassiker – armer Junkie. Abhängig von äußeren Faktoren wie meiner Waage. Jahrelang hat sie mein Leben bestimmt.

Ein anderes gutes Beispiel ist meiner Meinung nach die Kleidung. Hier kommen wir zum Pro Ana Stuff: ich habe in einer dieser Tipps&Tricks-Sammlungen für angehende Hungerkünstler vor geraumer Zeit einmal den Hinweis gefunden, enge Kleidung zu tragen. Diese würde einen quasi ermahnen, sobald man zu viel gegessen habe. (Lassen wir außen vor, dass mir die meisten meiner Hosen mittlerweile zu weit sind, stellen wir uns vor, ich hätte eine Skinny Jeans) … Die enge Klamotte spannt also und man lässt das Essen – vorausgesetzt, man ist ein Äußere-Faktoren-Junkie. Ist man das nicht, muss man sich von innen heraus zügeln oder wird gar nicht erst irritiert. So weit die Theorie… Ich persönlich neige ja zu Fressattacken, wenn mir die Kleidung eng vorkommt, als Strafe für die Hässlichkeit, die ich mir dann ohne viel Zögern in direkter Relation zugestehe.

Die logische Schlussfolgerung:

Was sagen uns diese Überlegungen? Es sei nicht geklärt, ob Anorektiker leichter zu beeinflussen sind als andere Menschen; ich denke, dass sie oft Perfektionisten sind und damit in vielerlei Hinsicht empfindsamer. Also sehen sie vielleicht Dinge, die Anderen nicht auffallen und wenn sie „beeinflussbar“ sind, so könnte es da ein größeres Spektrum an Einlussgrößen geben, aber das sei – wie gesagt – dahingestellt.
Wenn so eine „Beeinflussbarkeit“ da ist, kann man sie für sich nutzen (wenn man abnehmen will), und zwar, indem man sich gezielt triggert – was, wie ich glaube, nicht wenige tun. Diese Empfindsamkeit kann sich aber genausogut gegen einen kehren, kann Verletzlichkeit und den seelischen Einbruch bedeuten.

Über das Für und Wider von Triggern lässt sich streiten. Ich glaube, dass Trigger eine Form der Motivation ist und man diese Selbstmotivation nicht so einfach unterbinden kann, sobald man sie einmal entdeckt hat und den Willen entwickelt, seine Störung zu erweitern. Dann wird man das einfach tun, und wenn es unbewusst ist. Aber das interessiert mich nicht so sehr. Wichtiger war es mir, zu sagen, dass ich es gut fände, wenn man sich dessen bewusst wird. Ob man sich leicht beeinflussen lässt oder nicht – und das ist ja nicht unbedingt etwas Manipulatives. Beeinflussen klingt immer so nach Ferngesteuert werden. Das meine ich aber nicht. Es ist eher diese Empfindsamkeit, welche ich für die Ursache solcher Phämomene halte. Das ist an sich nichts Negatives. Schlecht wird es nur, wenn man sich selbst vergisst.

Könnte man nicht empfindsam sein für tolle Dinge?
Nicht die Waage, sondern das schöne Wetter. *klick* Gute Laune!
Nicht die zu enge Hose, sondern die 1 in Mathe. *klick* Welt super!

Oder wie heißt es so schön:
„Das Leben ist furchtbar… – Oh, Kuchen!“

Manchmal geht alles unter

Wenig essen, weniger, Gewohnheit. Nach ein paar Jahren mehr Alltag als Angewohnheit. Unkaputtbare Kaputtheit sozusagen, ein bleibender Schaden. Ich lebe so in meinen Tag hinein, esse mehr oder weniger und harre der Dinge, die da kommen. Dann kommt das Wintersemester und schiebt den Gedanken einen Riegel vor. Es ist jedesmal aufs Neue erschreckend, welchen Einfluss diese kleine Veränderung für mich hat. Ich wache morgens auf und die Zahl auf der Waage ist mir egal. Ganz egal. Ich verschwende keine Zeit und greife zum nächsten Buch. Essen kann ich trotzdem nicht. Es geht entweder vollkommen unter oder der Nachschub an Nahrung für die Arbeit mit den grauen Zellen kommt schlagartig. Richtigen Hunger habe ich immer noch nicht, ich kann mich nur schlechter konzentrieren. Der Rest basiert auf Logik, nicht auf Einsicht. Ich muss etwas essen, sonst … kippe ich um, lasse nach, mache schlapp,… was auch immer. Es wird gegessen und weitergemacht. Ein bisschen Routine, ein bisschen Überwindung. Weniger aber als an all den anderen Sommertagen, die dem nahenden Stress vorangegangen sind. Ich stopfe etwas Essen in mich hinein und denke nicht weiter darüber nach. Die Verdrängung funktioniert wirklich effektiv. Ich verschwende keinen unnötigen Gedanken daran… eigentlich das, was ich mich in der freien Zeit immer wünsche, worüber ich mir stundenlang den Kopf zerbreche: Warum kann das Essen für mich nicht Nebensache sein? Aber auf diese Art und Weise wird es zum Hauptproblem.

Jetzt sitze ich da und schreibe darüber, aber eigentlich will ich nicht wirklich daran denken. Das schlechte Gewissen kommt nur nachts und erinnert mich an meinen Mageninhalt oder die vielen Stunden, die ich gesessen und gelesen habe, statt mich selbst manisch durch die Stadt zu jagen. Aber selbst das kann ich abschütteln und mir sagen, dass ich schließlich schlafen muss, weil morgen wieder ein langer Tag wird.

Die Frage bleibt. Warum geht es nicht einfach so? Wenn man grad will. Wenn es grade hilfreich wäre. Wenn ein Freund einem die Hälfte seiner belegten Brote anbietet – mit den eigenen Lieblingsspeisen belegte Brote auch noch! Abartig. Dann kommt die innere Stimme und schüttet wüste Beschimpfungen über mich aus.

Egal.
Alles ein bisschen egal.
Nicht nachdenken ist auch eine Möglichkeit, sich zu entscheiden.
Vielleicht ist es sogar keine schlechte Entscheidung.
Ich habe jetzt schon seit fast zwei Monaten keine Waage mehr. Es geht mir nicht schlechter dadurch. Erschreckenderweise habe ich, wenn ich Freunde besuche, immer noch Recht, wenn ich wie gewohnt vor dem Wiegen schätze. Aber da ist auch ein neues, gutes Gefühl. Ich kann erahnen, was ich brauche und was nicht. Natürlich nicht, um Normalgewicht zu halten. Das ist mir immer noch zutiefst zuwider. Der Gedanke daran führt schon zu inneren Bestrafungszeremonien und Hasstiraden gegen das schwache Ich. Aber es ist nicht – und ich meine nicht im Geringsten – so schwer, wie ich gedacht hatte, ohne Waage zu leben und ohne Waage zu regulieren, was man täglich zu sich nimmt und wieviel. Ich bin mir sicher, dass ich keine Ahnung habe, was eine normale Portion ist. Ich weiß auch, dass ich die in der nächsten Zeit nicht erreichen werde, vermutlich nie. Aber es tut gut zu wissen, dass man nicht vollkommen orientierungslos wird, nur weil man sein Messinstrument aufgegeben hat.

Erholung des Stoffwechsels nach langer Hungerphase

So lange nichts gegessen. Gehungert, gequält, immer weiter reduziert… Jetzt ist sie übergroß, die Angst zuzunehmen. Aber man müsste mehr essen. Man müsste essen können. Den Stoffwechsel reanimieren.
Ist das möglich? Und wenn ja, wie?

Warum Hungern nichts bringt

Hungern heißt für mich, unter 900 kcal zu essen. Meistens habe ich unter 600 zu mir genommen, aber eigentlich ist auch unter 1500 schon Hungern für den menschlichen Körper (normal große Frau, > 160 cm, ca. 50 kg). In Kliniken heißen 1200 kcal „Reduktionsdiät“. Dort werden selbst Übergewichtige nicht auf 500 kcal/Tag gesetzt, denn das führt nur zu folgenden Reaktionen:

  • der Körper schaltet auf den Modus „Hungersnot“ und damit auf Sparflamme, der Energiehaushalt der Körperfunktionen wird quasi eingeschränkt
  • der Grundumsatz (grob: 24 x Körpergewicht in kg) wird also reduziert
  • man nimmt erst schnell ab (2 kg Wasser, denn bei der Umwandlung von Glycogen – der Speicherform von Kohlenhydraten – in Glucose scheidet der Körper Wasser ab) und dann kaum noch
  • überschüssige Kalorien werden in Fett umgewandelt
  • bei zusätzlicher Belastung (z.B. Sport) baut der Körper in gleichen Teilen Fett und Muskelgewebe ab

Das bekannte Resultat davon heißt Jojo-Effekt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens auch die sog. „Set-Point-Theorie“.

Hungern heißt also zu wenig zu essen. Auf Dauer führt das zum Abnehmerfolg, ob nun gesund oder nicht. Die Energie von außen fehlt, also isst der Körper sich selbst auf.

On diet forever?

Aus Angst, nach einer extremen Reduktionsdiät (alias Magersucht), schnell wieder zuzunehmen, bleibt es bei vielen Essgestörten auf Dauer an der Tagesordnung, unter 800 oder weniger kcal zu essen. Die Angst ist im Allgemeinen erst einmal berechtigt. Denn wenn man wieder mehr isst, nimmt man zu. Und zwar vor allem Fettgewebe.

Trotzdem wäre es sinnvoll, den Stoffwechsel zu aktiv zu rehabilitieren. Und zwar nicht durch sog. „Refeeds“ (Aufbautage inmitten einer Hungerphase), sondern durch Kostaufbau. Ich weise an dieser Stelle übrigens darauf hin, dass dies meine persönliche Theorie ist. Ich habe sie an mir selbst ausprobiert und mit einigen Menschen diskutiert, die ähnliche Erfahrung gemacht haben. Sie ist natürlich nicht wissenschaftlich fundiert!

Wie funktioniert das?

Um eine Regeneration des Stoffwechsels zu erreichen, muss man im Prinzip „einfach nur essen“. Man nimmt ca. 2500 kcal zu sich. Das muss nicht von einem Tag auf den anderen geschehen. Diese 2500 kcal führen noch nicht dazu, dass der geschwächte Körper rapide zunimmt. Vielleicht kommt es einem so vor, aber im Prinzip erreicht man so mit normaler Bewegung in einer Woche vielleicht 500g Zunahme. Der Körper verbrät die Kalorien nämlich zunächst einmal für die Aufbesserung des Blutbildes. Man könnte auf diese Weise ca. 4 Wochen lang „normal“ essen. Es sollte aber auch tatsächlich gesunde Nahrung sein, ein paar Vitamine schaden nie. Sport und Bewegung muss nicht ausgeschlossen werden, sollte aber nicht mehr als zuvor sein.

Nach 4 Wochen ist der Stoffwechsel weitgehend erholt. Man erkennt das z.B. an einem Zuwachs an Kondition, regelmäßigem Stuhlgang und Hungergefühl.

Wenn diese Zeit vorbei ist, hat man vielleicht 2-4 kg zugenommen. Ich weiß, dass das hart klingt, ich würde es selbst nicht wollen, mich dagegen sträuben, aber es bringt nichts, sich dauerhaft Nahrung vorzuenthalten, die man braucht, um die 30 zu erreichen. Und v.a. wenn es auch mit mehr kcal geht. Das ist eine Kopfsache. Man muss es wollen, sonst wird es nie funktionieren und man wird immer wieder auf unter 500 oder werweißwiewenig verfallen.

Nach dieser Zeit kann man die Kost wieder reduzieren. Jedoch nicht auf 500 oder ähnliches, sondern langsam, auf 2400, 2300, 2000 usw. Man muss ausloten, wie viel genügt, um abzunehmen. Und es ist erstaunlich viel, das man sich plötzlich erlauben kann! Vielleicht kann man auch etwas mehr Bewegung nutzen, um sich Sicherheit zu verschaffen, aber das muss auch nicht unbedingt sein. In jedem Fall hat man nach dieser „Fresskur“ den Umsatz wieder gesteigert und wenn man nicht den Fehler macht, sofort wieder mit dem Hungern anzufangen, kann man u.U. etwas schaffen, das viele Esssgestörte nie erreichen werden: eine Ernährungsumstellung.

Ich möchte zum Abschluss noch darauf hinweisen, dass dies hier keine Diät-Anleitung ist und auch keine Einladung zur Magersucht. Ich möchte lediglich meine Erfahrung mit anderen Esssgestörten teilen, vielleicht hilft es dem ein oder anderen Menschen. Ich fand den Effekt selbst sehr überraschend, ich habe das über mehrere Wochen gemacht und seitdem kann ich 1500 kcal essen und nehme dennoch weiter ab. Mein BMI ist ca. 16,5 zur Zeit. Ich bin mir sicher, dass einige das für nicht besonders wenig halten. Über mein „Ziel“ möchte ich aber hier keine ausführlichen Aussagen machen, ich denke, das ist so öffentlich nicht sinnvoll. Wer noch Fragen zu dem Thema hat oder wen andere Dinge in Bezug auf solche Themen interessieren, der kann mir gerne schreiben. Ich bin auch bereit, auf Wunschthemen einzugehen, sofern ich Material vorliegen habe!

Liebe Grüße und ein besseres Leben wünscht euch eure „me“

Manchmal ist auch die Magersucht nicht mehr als eine chronische Krankheit

Wenn es mir gut geht, ist das Hungern oder das, was die behandelnden Ärzte Magersucht nennen, für mich durchweg gut. Ich nenne die Anorexie individuell, frei, ehrgeizig… Ich weise ihr Attribute zu, die man grob unter Perfektion zusammenfassen könnte.

Wenn es mir schlecht geht, sieht das ganz anders aus. Das Nicht-Essen verliert seinen Glanz. Es strahlt nicht als erhabene Eigenschaft aus dem so fahlen Menschsein hervor, sondern es ist die personifizierte Unfähigkeit geworden.

Ich sitze auf meinem Stuhl, die Knochen tun mir weh. Seit Stunden habe ich nichts gegessen. Nun bin ich wieder zu Hause und weiß, dass ich essen müsste. Oder sollte. Dass es die Zeit dafür wäre und ich Hunger empfinden würde, wäre ich ein normaler Mensch. Ich warte ein wenig, aber der Hunger kommt nicht. Natürlich nicht. Er hat sich daran gewöhnt, enttäuscht zu werden und so hat er es für die Mehrzahl der Tage eines Jahres aufgegeben, persönlich zu erscheinen. Er schickt nur manchmal seinen Handlanger, den Appetit vor.

So sitze ich da und überlege, was ich essen könnte. Und warte und warte und esse letztlich nichts oder fast nichts. Ich kann nicht. Eine innere Schwere zieht mich, drückt mir auf den Brustkorb. Erst halte ich es für Übelkeit, wie beim Hunger, aber es ist nicht das gleiche. Es ist Bedrängnis. Traurigkeit. Es geht mir nicht gut. Früher habe ich gegessen, wenn ich deprimiert war. Oder wütend. Mittlerweile ist es anders, oder vielleicht ist das Gefühl auch anders. Was es auslöst, ist jedenfalls nicht mehr Essen. Sondern Zögern. Ich horche in mich hinein und suche den Hunger. Er kommt nicht. Ich sehe keinen Sinn im Essen, ich fühle nichts, ich lasse los und suche mir eine andere Beschäftigung.

Das ist sie, die andere Seite meiner Krankheit. Lange Zeit war es nicht so. Ich hatte geglaubt, ich wäre es schon alles so sehr gewöhnt, dass das Leben damit kaum mehr eine Belastung darstellen würde. Und nun muss ich zugeben, dass es nicht so ist. Dass es gute Seiten gibt, die mir gefallen, die ich als Ästhetik ansehe, aber die eben nicht alles sind.

Ambivalent, fesselnd, bis erdrückend.

Eine Sucht.

Normalgewicht = alles wunderbar?

Für eine Freundin

Der fünfte Arzt stellt mir die zum fünften Mal wiederholte Frage. Das Gewicht scheint sie alle zu interessieren. Die Zahl. Der BMI vor allem. Der BMI ist so eine Art allmächtige Zahl. Er bestimmt über gesund und krank, nennt einsichtig oder uneinsichtig, entscheidet über Einweisung und Entlassung. Der BMI ist die Götze der Klinikmagersüchtigen und ihrer behandelnden Ärzte.

Während die einen ihre Patienten mit 1,60 m Körpergröße fast bei dicken 55 kg sehen wollen, bevor sie ihnen abkaufen, dass sie jetzt wissen, wie viel man essen muss, um dort hin zu kommen, dürfen andere schon bei gängigen Modelmaßen und 17er BMI das Krankenhaus verlassen. Je nach Betragen wird über die Maßregelung des Delinquenten geurteilt. Manchmal hilft es, manchmal nicht. Manchmal fliegt man auch einfach raus, wenn man es nicht schafft. Oder wird entmündigt, staatlich verpflichtet, gesund zu werden. Denn gesund sein ist das Allerwichtigste in diesem Land. Niemand hat das Recht, seine eigene Gesundheit zu verwirken, außer durch Rauchen, Alkohol oder Drogen. Das kann man über Jahrzehnte betreiben, solange man davon nicht abmagert, ist es egal ob die Herzenzyme so mies sind, dass man jeden Moment das Zeitliche segnen könnte. Die teuerste Krankheit der Deutschen – Diabetes – lange nicht so geächtet wie Magersucht…

Bei Magersucht ist man quasi bis die magische Grenze 17,5 überschritten ist im (organisch oder psychisch-unvernunftbedingten 😉 ) lebensbedrohlichen Bereich. So jedenfalls scheinen es einige Doktoren zu sehen. Noch aufrecht mit 11er BMI die Klinik betreten, – zack – entdeckt, eingesperrt, entwürdigt. Nach Wochen erreicht man einen 14er BMI und bekommt Transportunfähigkeit bescheinigt, während man vor Wut mit der neu gesammelten Kraft die Wände einschlagen könnte.

Ist es das?
Bitte sagen Sie es mir!

Ist das die Hilfe, die Magersüchtige brauchen? Moderne Folter, Tristesse, Rechteentzug und Entwürdigung bis aufs Äußerste für eine Zahl?

Da wäre ich wieder an dem Punkt, wo ich mich frage, was die eigene Entscheidung eigentlich sein soll. Was ist das, wenn es einem genommen wird, sobald man sich selbst (und niemandem sonst) Leid zufügen könnte? Was interessiert den Staat mein Gewicht? Die Krankenkasse zahlt Unsummen, nur damit ich nach „erfolgreicher“ Mast die Therapie erneut boykottiere. Unbeugsam, Widerstand bis ins letzte. Stolz. Was soll das? Was haben sie davon? Und wenn ich ehrlich bin und gleich sage, dass es sinnlos ist – dann bekomme ich einen Betreuer oder was? Verbannung der Freiheit in die Welt der Gedanken. Wenn’s ums Überleben geht, hört der Spaß auf…

Das Warum, ja…

Es ist ganz einfach. Sie können nicht anders. Sie retten ja auch die Komatösen vor dem Tod, halten sich schlafend über Jahre. Sie verdienen an Chemotherapien, die mehr Nebenwirkungen haben als lebensverlängernde. Sie legen PEGs in die Mägen von Menschen, die fast 90 sind und die auch nicht mehr essen wollen. So ist das hier in unserem System. Wir haben keine Chance. Nur den Betrug. Sagen, was sie hören wollen. Die magische Zahl anstreben und unentwegt nicken. Chancenlos.

Ich weiß nicht, was ich dazu denken soll. Nicht genau. Wo freier Wille anfängt und ob ein Mensch das Recht hat, ihn so zu beschneiden, wenn dieser am Anderen keinen Schaden anrichtet. Ich kann es nicht beurteilen, – bin befangen. Ich habe Entwürdigung gesehen, zum Glück nicht so sehr erlebt. Aber ich bin jedesmal wieder aufs Neue schockiert. Kann nicht fassen, wie unmenschlich etwas sein kann, dass einmal eine der menschlichsten Disziplinen war: die Medizin.

Immer zu allem stehen, was man tut? Sage nein!

Die Devise bei alten Geschichten. Man hat eine Freundschaft beendet, ist als Teenie ausgezogen, oder man hatte eine Meinung. 10 Jahre später hat man sie nicht mehr. Dann kommt der 0815 Standard Prolet und sagt „Steh doch mal dazu!“

Wozu stehen?
Dazu, dass man vor 10 Jahren etwas so gesehen, so getan, so gesagt hatte? Wer war man denn vor 10 Jahren? Ich – nein – ich kann nicht sagen, dass ich mir vor 10 Jahren besonders ähnlich sah. Ähnlich war. Ich bin ich, heute, wie ich hier stehe und das tue ich nicht zu dem, was zu Teenie-Zeiten aktuell war.

Ich hasse diesen Satz. Er ist so grenzenlos borniert  – er impliziert den Schwachsinn in seiner reinsten Form.

Steh doch mal dazu.

Steh doch mal dazu, dass du vor 10 Jahren ein anderer Mensch gewesen bist, mit dem du nichts mehr gemeinsam hast.
Dazu, wie viel du gegessen, getrunken oder gelacht hast. Aus nichtvorhandenen Gründen. An die du dich nicht erinnern kannst.
Steh doch mal zu deiner Frisur von vor 10 Jahren, oder zu deiner politischen Einstellung. Was, du bist gar nicht mehr rechts? Ich will aber, dass du jetzt mal gefälligst dazu stehst, das macht man so.

Ich mache das anders.

Ich stehe nicht zu meinem Geschwätz von gestern.
Oder meiner Meinung.
Oder meiner Lebensweise.
Sie ist es nämlich nicht mehr. „Meine“
Und deshalb stehe ich auch nicht zu meinen Narben von vor 10 Jahren. Sie sind alt, sie sind nicht ich und sie sind uninteressant. Zu blöd nur, dass sie immer noch da sind. Hätte ich einen kleinen Fahrradunfall ohne weitere Folgen gehabt, wäre dies nun auch nicht Teil meiner Persönlichkeit, wäre ich ein ganz normaler Mensch. Aber SVV erlaubt es wildfremden Menschen, sich anzumaßen, sie sein in der Lage, sich ein Urteil über eine Zeit zu erlauben, die 10 Jahre zurückliegt.

Ist das nicht überaus interessant?

Eine Szene
Mensch mit Narben am Arm sitzt im Café.
Bekannte kommt vorbei und setzt sich hin.
Bekannte mustert den Arm und denkt „Na, das ist ja… das hätte ich nicht gedacht.“ Gemeint ist Die hat sowas? Sowas ist echt gestört. Wie kann man nur so rumlaufen?
Anschließend wird man im Verlauf des Gesprächs, das trotz massiver Neugier erst einmal auf ein anderes Thema gelenkt wird, zärtlichst gefragt, was man denn da angestellt habe. Den Rest des Gespräches kann man dann unter Ulk verbuchen, da die Bekannte in 90% der Fälle nun eine für alle Ewigkeit feststehende Meinung von der Person, die sie kaum kennt, hat.

Sehr schön finde ich auch folgende Fragen (und Antworten):

Was hast du denn da am Arm? – Narben?
Hast du eine Katze? – Nee, zwei.
Du… sag mal, was is’n das eigentlich an deinem Arm? – Wonach sieht’s denn aus? (Manche meinen wirklich, diese Einfühlungsmasche wäre toll)
Ritzt du dich? – Präteritum. Danke der Nachfrage, ich verletzte mich selbst. Und zwar vor 10 Jahren. Wenn du willst, kann ich dir ein paar Selbsthilfegruppen für Sehgeschädigte nennen…
Das machst du aber nicht mehr da oder? Oh Mann…

Ich warte auf den Tag, an dem endlich mal jemand kommt und sagt:
Warst du mal SVVler?
oder auch ok wäre
Hast du Bordlerline?

Die Antwort auf die 1. Frage wäre Ja. Auf die 2. Nein. Borderline, ich glaube, eine der schlimmsten Diagnosen – denn sie klebt wie Sekundenkleber – blitzschnell und für immer. Mit Borderline lassen sich ja alle Probleme so gut erklären: die kaputte Beziehung, das Verhältnis zu den Eltern, die Essstörung. Alles Borderline. Und: es ist eine prima Ausrede, um einen Menschen als gestört zu bezeichnen. Oder als dumm. Denn SVV macht ja heute jeder, das ist chic, auch nur so ne Mode wie dieser Schlankheitswahn. Und wer das schön findet, ist ja total krank. Wer’s einfach nur so macht, ist auch intelligenzgemindert, denn er sieht ja nicht, wie hässlich und nutzlos das ist.

Genau.

Genau so wird es wohl sein.

Thinspiration, Fatspiration – Mager und schön, dick und doof?

Auf vereinzelten Wunsch ein Wort zu diesem Thema.

Es kommt nicht selten vor, dass als Trigger auf Pro Ana Seiten Bilder übergewichtiger Menschen gezeigt werden. Sozusagen als Anti-Thinspos. Die Thinpos – lang „Thinspirations“, Abziehbilder dünner Mädchen – zeigen die Perfektion, das Wunschbild des eigenen Körpers. Sie stellen dar, was man erreichen will. Oder vielleicht sogar schon erreicht hat, aber dank Körperschemastörung erfolgreich verdrängt. Man sieht sie an, voll bewunderndem Neid für die dünnen Mädchen. Vielleicht lebt die ein oder andere bereits nicht mehr, aber für den Moment sind sie brauchbare Ikonen.

Die Anti-Thinspos, die Fetten, sind auf dem gleichen Rang wie sog. „Food Porn“ Bilder. Bilder von Essen, das man nicht haben kann. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht ganz im Klaren darüber, warum manche Magersüchtige sich diese ansehen. ICH bekomme jedenfalls Hunger von sowas. Ich guck lieber in eine Zeitung. Die Dicken verstehe ich schon eher: man will so nicht werden. Identifizieren kann ich mich damit jedoch nicht. Ich war selbst nie dick und wenn ich sage, dass ich mich fett fühle, meine ich eigentlich „Ich habe Körperteile, an denen sich Unterhautfett befindet.“ Normal, aber für mich: unangenehm. Zu weich. Zu feminin. Zu undefiniert. Fett eben. Dicke Menschen haben viel viel mehr davon. Was haben sie mit Magersucht oder Trigger zu tun? Wen triggern sie? Wer fühlt sich so sehr fremd, dass er solche Bilder braucht? Die Angst muss unendlich groß sein für diese Art von Hybris. Ich kann es nicht beurteilen.

Wenn ich durch die Stadt gehe und einen dicken Menschen gehe, denke ich jedoch auch meist nichts nobles. Ich will ehrlich sein. Ich weiß nicht, ich weiß es wirklich nicht, wie man sich so sehr gehen lassen kann, dass man bei 1,60m Körpergröße 150 kg erreicht. All die Burger und Torten, ich müsste mich auf dem Weg dort hin so oft erbrechen, dass ich es nie auf die 150 kg bringen würde. Und ich hätte auch bei weitem nicht einmal die Zeit, so viel zu essen. Ich empfinde aufrichtigen Ekel beim Anblick dicker Menschen. Das ist mein erstes und ehrliches Gefühl. Ich empfinde kein Mitleid, sondern einen Haufen üblen Unverständnisses. Das Mitleid entsteht erst auf den 2. Blick. Wenn ich darüber nachdenke. Wenn ich mir vorstelle, dass so ein Mensch vielleicht einen dicken Vater und eine dicke Mutter hatte, vielleicht einer davon noch alkoholkrank. Vielleicht mangelt es an Intellekt, Freunden oder gesundem Essen. Vielleich hat derjenige einen Missbrauch hinter sich und frisst sich einen Schutzpanzer an, hat sonst kein Vertrauen in sich, ist ganz allein. Vielleicht will er oder sie aber auch nichts lieber als abnehmen und schafft es nicht, weil der Magen so stark erweitert und atonisch ist, dass er ständig nach Essen schreit.

Woher soll ich das wissen?

Warum also dicke Menschen als Anti-Idole missbrauchen? Warum sie abwerten, indem man zeigt, dass man so nicht sein will, dass es das allerletzte ist, ekelhaft und dumm. Intelligenz misst sich nicht am Körperfettanteil. Im Gegenteil: das Hirn besteht aus Fett.

Ich finde sie nicht gut, diese Bilder.
Ich weiß nicht einmal, ob ich die normalen Thinspos gut finden kann. Ich sehe sie mir an, wie man sich die Bilder einer berühmten Person ansieht, wenn man ein Teenie ist und vielleicht ihren Stil kopiert. Aber ich kopiere nicht das Dünnsein. Ich wollte schon immer dünn sein. Ich benutze Bilder, um mich damit zu vergleichen. Um mir vorzustellen, wie ich aussehen würde, mir das Gefühl dabei vorzustellen. Das gute Gefühl, dünn zu sein.
Definitiv werden diese Bilder also positiv bewertet.
Die Bilder der Dicken werden es nicht.
Die Dicken werden verurteilt, so wie es die Dünnen auch werden. Auf den Bildern sollen die einen die perfekte Magersüchtige zeigen. Die Dicken stellen das perfeckte Abschreckbild dar.

Aber was haben sie gemeinsam? Beide werden benutzt, beide erfüllen Pauschalvorstellungen einer Wunschidee. Beide sind essgestört und da wir keinen der Menschen auf den Bildern persönlich kennen, wissen wir auch nicht, warum das so ist. In Gut und Böse zu unterteilen und so zu degradieren macht also keinen Sinn.