Die Devise bei alten Geschichten. Man hat eine Freundschaft beendet, ist als Teenie ausgezogen, oder man hatte eine Meinung. 10 Jahre später hat man sie nicht mehr. Dann kommt der 0815 Standard Prolet und sagt „Steh doch mal dazu!“
Wozu stehen?
Dazu, dass man vor 10 Jahren etwas so gesehen, so getan, so gesagt hatte? Wer war man denn vor 10 Jahren? Ich – nein – ich kann nicht sagen, dass ich mir vor 10 Jahren besonders ähnlich sah. Ähnlich war. Ich bin ich, heute, wie ich hier stehe und das tue ich nicht zu dem, was zu Teenie-Zeiten aktuell war.
Ich hasse diesen Satz. Er ist so grenzenlos borniert – er impliziert den Schwachsinn in seiner reinsten Form.
Steh doch mal dazu.
Steh doch mal dazu, dass du vor 10 Jahren ein anderer Mensch gewesen bist, mit dem du nichts mehr gemeinsam hast.
Dazu, wie viel du gegessen, getrunken oder gelacht hast. Aus nichtvorhandenen Gründen. An die du dich nicht erinnern kannst.
Steh doch mal zu deiner Frisur von vor 10 Jahren, oder zu deiner politischen Einstellung. Was, du bist gar nicht mehr rechts? Ich will aber, dass du jetzt mal gefälligst dazu stehst, das macht man so.
Ich mache das anders.
Ich stehe nicht zu meinem Geschwätz von gestern.
Oder meiner Meinung.
Oder meiner Lebensweise.
Sie ist es nämlich nicht mehr. „Meine“
Und deshalb stehe ich auch nicht zu meinen Narben von vor 10 Jahren. Sie sind alt, sie sind nicht ich und sie sind uninteressant. Zu blöd nur, dass sie immer noch da sind. Hätte ich einen kleinen Fahrradunfall ohne weitere Folgen gehabt, wäre dies nun auch nicht Teil meiner Persönlichkeit, wäre ich ein ganz normaler Mensch. Aber SVV erlaubt es wildfremden Menschen, sich anzumaßen, sie sein in der Lage, sich ein Urteil über eine Zeit zu erlauben, die 10 Jahre zurückliegt.
Ist das nicht überaus interessant?
Eine Szene
Mensch mit Narben am Arm sitzt im Café.
Bekannte kommt vorbei und setzt sich hin.
Bekannte mustert den Arm und denkt „Na, das ist ja… das hätte ich nicht gedacht.“ Gemeint ist Die hat sowas? Sowas ist echt gestört. Wie kann man nur so rumlaufen?
Anschließend wird man im Verlauf des Gesprächs, das trotz massiver Neugier erst einmal auf ein anderes Thema gelenkt wird, zärtlichst gefragt, was man denn da angestellt habe. Den Rest des Gespräches kann man dann unter Ulk verbuchen, da die Bekannte in 90% der Fälle nun eine für alle Ewigkeit feststehende Meinung von der Person, die sie kaum kennt, hat.
Sehr schön finde ich auch folgende Fragen (und Antworten):
Was hast du denn da am Arm? – Narben?
Hast du eine Katze? – Nee, zwei.
Du… sag mal, was is’n das eigentlich an deinem Arm? – Wonach sieht’s denn aus? (Manche meinen wirklich, diese Einfühlungsmasche wäre toll)
Ritzt du dich? – Präteritum. Danke der Nachfrage, ich verletzte mich selbst. Und zwar vor 10 Jahren. Wenn du willst, kann ich dir ein paar Selbsthilfegruppen für Sehgeschädigte nennen…
Das machst du aber nicht mehr da oder? – Oh Mann…
Ich warte auf den Tag, an dem endlich mal jemand kommt und sagt:
Warst du mal SVVler?
oder auch ok wäre
Hast du Bordlerline?
Die Antwort auf die 1. Frage wäre Ja. Auf die 2. Nein. Borderline, ich glaube, eine der schlimmsten Diagnosen – denn sie klebt wie Sekundenkleber – blitzschnell und für immer. Mit Borderline lassen sich ja alle Probleme so gut erklären: die kaputte Beziehung, das Verhältnis zu den Eltern, die Essstörung. Alles Borderline. Und: es ist eine prima Ausrede, um einen Menschen als gestört zu bezeichnen. Oder als dumm. Denn SVV macht ja heute jeder, das ist chic, auch nur so ne Mode wie dieser Schlankheitswahn. Und wer das schön findet, ist ja total krank. Wer’s einfach nur so macht, ist auch intelligenzgemindert, denn er sieht ja nicht, wie hässlich und nutzlos das ist.
Genau.
Genau so wird es wohl sein.